Interview mit dem Rumäneindeutschen Paul Philippi von Dominik Landwehr

Der Theologieprofessor Paul Philippi - Ein ungewöhnliches Schicksal


Von Dominik Landwehr



In Rumänien leben heute noch rund 100 000 Deutschrumänen. Viele sind in den letzten Jahren in die Bundesrepublik Deutschland ausgewandert und es ist ungewiss, wie lange diese Minderheit in der heutigen Form noch existieren kann. Die Siebenbürger Sachsen - eine der drei grossen deutschen Gruppen Rumäniens - sind seit rund 800 Jahren in Transylvanien und spielten in der Geschichte des Landes eine wichtige Rolle. Die Deutschen Rumäniens sind im Demokratischen Forum der Deutschen organisiert - deren Präsident ist Prof.Dr.Paul Philipp. Der heute 71-jährige Theologieprofessor hat durch seine persönliche Geschichte eine enge Verbindung zur Schweiz.

Herr Professor Philippi, was für einen Bezug zur Schweiz haben Sie?

Ich bin 1944 in amerikanische Kriegesgefangenschaft geraten. Gleich nach dem Ende der Gefangenschaft im November 1947 begann ich in Erlagen zu studieren. Dort bot sich die Gelegenheit für ein Stipendium in der Schweiz - als ein Vertreter des ökumenischen Rates der Kirchen bei uns vorbeikam. Die meisten wollten in die USA - ich wollte in die Schweiz, weil ich die Art und Weise kennenlernen wollte, wie in der Schweiz das Zusammenleben der verschiedenen Sprachgruppen geregelt ist. Es war also weniger wegen des berühmten Theologen Karl Barth oder Emil B..., sondern weil ich die Schweiz als vielsprachiges Land kennenlernen wollte. Ich kam dann im Herbst 49 und war 25 Jahre alt.

Das heisst auch, dass Sie eine ganz klare Vorstellung der Probleme Ihres Landes hatten?

Natürlich, ich wollte dorthin zurück und hatte in der Zeit der Kriegsgefangenschaft angefangen neben Englisch Russisch zu lernen, damit ich dort auch gewappnet bin. Der Russischlehrer wurde bald verlegt und so fanden dann die Russischkurse ein Ende.

Sie waren in amerikanischer Kriegsgefangenschaft?

Ich bin wie meine ganze Generation aus Rumänien im Zweiten Weltkrieg von Nazideutschland zu deutschen Verbänden eingezogen worden. Ich war an der Ostfront, rutschte aber in den letzten Kriegstagen - absichtlich - in den Westen herüber. Ich wurde trotzdem erst im Lager entnazifiziert, wie man dem sagt. Ich wurde in die Gruppe der unbelasteten eingestuft - aber musste 30 Monate warten. Als ich entlassen wurde ging ich nach Erlangen um dort zu studieren und kam von dort dann in die Schweiz, wo ich 1950 auch in Winterthur arbeitete und zwar als Hauslehrer - gleichzeitig war ich bei der lutheranischen Gemeinde in der Grossmünsterkapelle in Zürich Vikar.

In Zürich haben Sie Theologie und Geschichte studiert - wie wirkte diese Stadt auf Sie - Sie kamen ja aus dem Krieg, was ist in Ihnen vorgegangen?

Diese heile Welt, die ich in der Schweiz vorfand, hat mich natürlich sehr beeindruckt - ich merkte aber auch, dass es sehr schwer war über viele Dinge, die wir erlebt hatten, zu reden. Das galt auch für Freunde. Ich hatte gute Freunde erworben, mit denen ich auch ins Berner Oberland ging - aber es war schwer, das Kriegserlebnis zu vermitteln, zu vermitteln, was wir zwischen 1940 und 44 erlebt hatten. Andererseits war ja eben diese intakte Welt, diese ganz andere heile Welt, die mich gelehrt hat, dass man im Westen über die Fragen von Ethnie und Staat anders denkt als wir das im Osten gelernt hatten und noch einmal anders als das im Natiohalsozialismus betrieben wurde.

Worin bestand dann diese Andersartigkeit?

Zum Beispiel war für mich alles was Hochdeutsch als Kultursprache hatte Deutsch - dass es aber zwischen einem Deutschen und Schweizer einen grossen Unterschied gab, das hatte ich von meinem Jugendhorizont in Siebenbürgen nicht kapiert, das ging mir erst auf, als ich in der Schweiz war. Von diesem Unterschied her habe ich auch vieles besser begriffen, was in meiner Heimat passierte.

Sie haben dann in der Schweiz abgeschlossen?

Nein ich habe in Erlangen abgeschlossen und kam danach wieder in die Schweiz zurück. Ich habe hier als Hauslehrer mein Brot verdient und als Vikar inder Grossmünsterkappelle bei der lutheranischen Gemeinde meine ersten Erfahrungen als Pfarrer gemacht. Dort waren vor allem "Usländer" - Deutsche vor allem.

Und daneben noch Hauslehrer?

Ich war bei der der Familie Thomann in Winterthur. Thomann war Direktor und später Generaldirektor bei Sulzer, seine Mutter war eine Siebenbürgerin aus Kronstadt. Man suchte einen Hauslehrer, ein Sohn hatte eine Klasse übersprungen, dann stiess man auf mich und ich arbeitete also dort. Ich begann in dieser Zeit meine Dissertation, mit der ich dann später in Erlangen promoviert hatte.

Zu welchem Thema?

Die Abendmahlsfeier in unserer Siebenbürgischen Gemeinde, die verbunden war mit einem Versöhnungsbrauchtum - dafür gab es eine Liturgie, die sich ausserhalb der Kirche, in der Nachbarschaft abspielte. Für mich stellte sich die Frage, war das jetzt siebenbürgische Folklore oder evangelische Theologie?

Danach ging es nach Erlangen - nicht nach Siebenbürgen?

Nach Siebenbürgen waren die Wege versperrt. Ich hatte aber in meinem Lebensplan drin, dass ich nach Siebenbürgen zurück wollte. Ich hätte nach Oesterreich gehen können, kam aber nach Erlangen und danach nach Heidelberg an eine Assistentenstelle. Als dann der siebenbürgische Bischof anfangs 50er Jahre zum ersten Mal in den Westen kam sprach ich mit ihm über meine Zukunft: Ich hatte die Wahl Studentenpfarrer in Erlangen zu werden oder mich in Heidelberg zu habilitieren. Ich stellte meinem Bischof die Frage - er sagte, habilitieren sie sich, wir brauche wissenschaftlich gebildete Theologen. Es gab damals einen Vierjahreskurs für Theologen in Siebnenbürgen und dort war auch ein grosses Fortbildungsbedürfnis. Der Bischof versprach mich zurückzurufen, sobald er konnte. Ich hatte dann jedes Jahr mit ihm Kontakt und fragte: kann ich jetzt kommen, kann ich...und er sagte jedesmal, warten sie. Das dauerte so lange, bis er starb. Sein Nachfolger versuchte im Jahre 69/70 mich zurückzurufen, aber er kriegte keine Antwort und ihm wurde bedeutet, keine Antwort ist auch eine Antwort. Er gab zunächst auf, bis es dann 78 mit einer Einladung klappte - ich begann 79 als Gastprofessor in Hermannstadt/Sibiu. Nach zwei Jahren wurde ich wieder hinauskomplimentiert und dem Bischof wurde bedeutet, dass keinerlei Aussichten auf eine Wiederholung oder gar eine permanente Einstellung bestünde. Inzwischen konnte ich aber beweisen, dass ich damals im Krieg nicht freiwillig zur Deutschen Armee ging - und so erhielt ich dann im März 1982 völlig überrasched den rumänischen Pass zugestellt und damit konnte ich angestellt werden.

Und seit 83 sind sie permanent in Hermannstadt?

Seit 83 bin ich festangestellter Professor an der theologischen Fakultät in Hermannstadt.

Wenn ich das richtig sehe, so haben Sie fast das ganze Leben gewartet, nach Siebenbürgen zurückzukehren?

Ja, mein Leben war darauf angelegt. Ich habe das auch meiner Frau gesagt - das gehört jetzt nicht in die Presse - ich könnte sie nur heirateten, wenn sie damit einverstanden wäre. Ich hatte sie hier kennengelernt, sie ist auch eine Siebenbürgerin, die als 14jähriges Mädchen nach Deutschland auswanderte.

Sie haben diese Vision ein ganzes Leben lang gehabt und haben sicher auch das Schicksal ihres Landes verfolgt. Was für Gefühle haben sie erlebt als sie zurückkamen?

Man darf das nicht allzu sentimental sehen. Ich hatte in Deutschland gelernt, kritisch über mein Land und über Siebenbürgen zu denken. Ich kann nicht sagen, dass das ein Verlustgeschäft war. Ich bin viel zu spät nach Hause gekommen. Das merkte ich dadurch, dass mein Position schwer vermittelbar war. Die Verarbeitung des Krieges und des Nationalsozialismus hatten das Land auf eine Weise geprägt, meine Einsichten aus der Schweiz und aus dem Westen waren schwer zu vermitteln. Das habe ich immer sehr stark empfunden. Aber es ist nicht weniger wichtig, schwer vermittelbare Einsichten weiterzugeben, als wenn man mit offenen Armen erwartet wird.

Was war denn so schwer zu vermitteln?

In Deutschland hatten sich in den sogenannten Landsmannschaften viele von der Führungselite der späten 30er Jahre versammelt. Diese Landsmannschaften in Deutschland waren aber Teil des geistigen (und auch materiellen) Rückhalts der Menschen in Siebenbürgen. Ich sage das nicht mit einem garstigen Akzent gegen die Menschen. Viele waren damals in eine völkische Bewegung hineingeraten, weil sie einfach der Sog dorthin gezogen hat, ohne dass sie einen schlechten Charakter hatten. Aber sie hatten sich eben nicht in einer geistig profilierten Weise davon zu distanzieren vermocht. Sie konnten sich nicht distanzieren - sie hatten nicht das Glück wie ich, der einfach in bestimmte Kreise hineingestolpert war wo man anders dachte, sie hatten weder in der Schweiz studiert noch waren sie in Deutschland. Die Menschen in Siebenbürgen hatten das distanzierte und kritischere Verhältnis, das ich ich entwickelt hatte, nicht so einfach zu schlucken vermocht.

Und das kriegten Sie zu spüren als sie zurückkamen?

Ja, ich bin zwar auf der persönlichen Ebene mit viel Begeisterung und Freude aufgenommen wurde - auf der institutionellen Ebene war das aber anders. Es gab Schwierigkeiten meine Sicht einzubauen. Man sagte nicht, gottseidank ist er bei uns zurück, sondern man fragte sich, was will der jetzt hier.

Sie kamen in einer Zeit zurück, in der viele Siebenbürger am Auwandern waren, viele hatten schon vor Jahren ihren Ausreiseantrag gestellt. Und nun kommt einer, der will dorthin zurück, wo die anderen weg wollten.

Ich habe mich nie als Missionar gegen das Auswandern gefühlt, auch wenn mir das natürlich weh tat, dass viele weg gingen, diese Tatsache machte mir vieles von meiner Zukunftsvision kaputt. Das war einfach immer wieder ein Anlass die Dinge zu analysieren. So schrieb ich 1983 an den damaligen deutschen Aussenminister Scheel um ein typisches Element in den Gesprächen der Leute zu analysieren. Viele sagten: Ich habe mich nun doch entschlossen, auszuwandern. Warum? - Weil die Lage hier hoffnungslos ist. Ich fragte: Warum? - Weil alle auswandern. Das ist ein tpyischer Zirkelschluss und diesen Schluss zu entlarven, das war meine Aufgabe - es brauchte jemand, der den Leuten zeigte, dass das ein Zirkelschluss war.

Die Auwanderungsbewegung hat sich ja nach dem Sturz Ceausescus dramatisch verstärkt und hat ein lawinenartiges Ausmass angenommen.

Ich habe im Jahr 83/84 dem damaligen Aussenminister Genscher und auch Kohl auf die Ungereimtheiten der deutschen Politik hingewiesen. Ich musste aber merken, dass die Politik nur begrenzt mit rationalen Argumenten anfechtbar war.

In einem gewissen Sinn war es ja interessant, dass sie unter dem kommunistischen System überhaupt zurückkehren konnten - sie waren ja eine Bedrohung für dieses Regime. Dazu waren sie ausgerechnet Theologe ?

Man kann auch anders argumentieren: Wenn ich hier bin, dann bin ich unter Kontrolle. Das Ceausescu-Regime hat die Kirche so überwacht, dass möglichst wenig passiert. Wir hatten ja einen Freundeskreis in Deutschland, wo sich einiges geregt hatte. Ich hatte schon in den 70er Jahren Kontakte zur rumänischen Intelligenzja aufgebaut. Damals sagte mir ein Mann, der heute an der Stanford University in den USA lehrt und ein emigrierter rumänischer Jude ist, der in Heidelberg Station machte: Passen sie auf Herr Philippi, es gibt in Rumänien eine intellektuelle Mafia, die sich zwar mit dem Kommunismus arrangiert hat, aber die in ihrer Substanz ganz akommunistisch ist. Wenn man zu ihr Zugang findet, dann hat man eine geistige Ebene, in der man verkehren kann, ohne an die Oberfläche zu stosen. Das war schon so, das hat sich bewährt. Ein Mann, der noch heute an der rumänischen Akademie der Wissenschaften ist, heute nach 1990, der war auch einer von denen, die über mich gutachten mussten. Er empfahl mich. Man wusste, dass ich für die wissenschaftlichen Beziehungen für den Westen eine Brücke sein konnte.

Es gibt auch eine ganz alltägliche Seite Ihrer Heimkehr - sie mussten umziehen, mussten packen und gehen. Wie war das, haben Sie einen Möbelwagen gemietet und sind nach Rumänien gefahren? Sie kamen in ein Land, das weitgehend pauperisiert war von der Regierung.

Ich will nicht pathetisch werden, aber als ich 30 Monate Kriegsgefangenschaft erlebt hatte, hatte ich mir vorgenommen, dass ich als Lebensstandard das anstrebe, was ich als mögliches Minimum erlebt hatte. Als ich in Zürich lebte mit einem Stipendium von 250 .- Franken, mit dem ich auch meine Wohnung bezahlen musste, da habe ich tatsächlich mit 125 Franken pro Monat mich durchgebracht. Das war 1949/50.

Ich habe gelernt mit wenig auszukommen. Ich lebte in den ersten zwei Jahren in einem Zimmerchen im theologischen Institut. Dann zogen meine Frau und ich in eine kleine Wohnung, und auch jetzt leben wir in einer kleinen Wohnung. Nur die Möbel, die kamen aus dem Vorrat meiner Grosseltern.

Sie sind nicht als Deutscher per LKW zurückgegangen...ich möchte doch noch einmal auf den Antrieb zurückkommen. Wovon haben Sie ein ganzes Leben lang geträumt?

Sehen Sie - als wir vom deutschen Militär wegkamen, da gabs einen Bukowinadeutschen, der sagte mir immer: Du bist ein siebenbürgischer Separatist, weil ich vielleicht als einer der wenigen meiner Generation mit dem Bewusstsein aufgewachsen bin, dass das, was wir als Siebenbürger Sachsen spürten, nicht identisch war mit dem, was aus Deutschland auf uns zukam. Da gab es Unterschiede. Ich bin nicht nach Deutschland gegangen um mich diesem deutschen Allgemeingefühl anzuschliessen, sondern um das weiterzutragen, was ich von zuhause her bin. Man hatte uns versprochen, nach dem Krieg kommt ihr nach Hause zurück. Ich habe auch darum nie versucht die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Auch in Zürich: Hier an der Universität schrieb man bei Heimatort: Schweinfurt - ich ging zum Kanzleramt und sagte man möge das ändern. Das wurde geändert und dort stand dann unter Heimatort:Kronstadt, Rumänien. Für mich war das einfach ein Lebensentwurf, den ich nie aufgegeben habe.

1989 kam in Rumänien der Umsturz. Hatten Sie das erwartet?

Ich habe das nicht so früh erwartet. Als Theologe und Historiker habe ich die Meinung vertreten, dass sich das System auf Dauer nicht wird halten können, weil es anthropologisch nicht stimmt. Das ist gegen den Menschen konstruiert und kann darum nicht bleiben. Das war eine Theorie - ich hätte nie gedacht, dass ich das Ende des Kommunismus selber erleben würde, auch wenn ich es erwartet hatte. Als es dann soweit war versuchte ich sofort mit einigen Freunden zu schauen, wie man mit der neuen Situation am besten leben konnte - wie man das Beste für unsere historisch geformte Lebensweise machen konnte. Es musste ein übergeordnete Struktur gefunden werden und noch am 23.Dezember 1989 unter dem Schiessen der Maschinengewehren fassten wir in unserer Wohnung den Entschluss, eine Organisation zu gründen, das war die Geburt des Deutschen Forums Rumänien.

Das demokratische Forum der Deutschen in Rumänien vertritt einerseits die Interessen aller Deutschen in Rumänien und ist andererseits auch der Gesprächspartner für die Bundesregierung in Bonn - auch für Bundespräsident Roman Herzog, der im Mai 95 Rumänien besucht hat.

Wir haben versucht als Gesprächspartner der Bundesregierung Anerkennung zu finden. Es gibt heute keine andere Organisation und ich bin glücklich, dass uns das gelungen ist.

Sie sagen, es gibt heute 100 000 Deutschrumänen in Rumänien - ich habe auch schon niedrigere Zahlen gehört.

Ja, der Bundespräsident selber sprach bei seinem Besuch von 85 000. Ich weiss nicht, woher er diese Zahlen hat. Ich weiss nur, dass wir bie der Volkszählung 1992 120 000 waren. Davon sind natürlich viele ausgewandert, aber es sind auch andere aus ihren Mauselöchern hervorgekommen, die vorher nicht als Deutsche sich gefühlt haben. Das gilt etwa für die Randgebiete Rumäniens - Tulcea im Donaudelta - dort haben sich erst kürzlich neue Gruppen gebildet. Viele hatten früher Angst, als Deutsche zu gelten. Wenn man dazu noch die Mischehen nimmt, dann muss man mit rund 100 000 Personen rechnen: 30 000 in Siebenbürgen, 40 000 im Banat, 15 000 in Satu Mare und dann bleiben noch 15 000 für die Bukowina und das ganze rumänische Altreich, also die Wallachei und die Donau.

Man sagt seit Jahren, es geht zu Ende mit den Deutschen in Rumänien, oder die Menschen sässen auf gepackten Koffern. Wenn man Ihnen zuhört hat man das Gefühl, dass das so nicht stimme.

Da wird auch viel mit Suggestion gearbeitet. Auch der deutsche Bundespräsident wurde ständig mit der Frage belagert - bleiben oder gehen. Dabei hat sich die Lage eher stabilisiert. Natürlich, es gibt immer noch Leute, die gehen und vielleicht stellt sich zum Schluss heraus, dass alle unsere Bemühungen vergebens waren. Das möchte ich nicht total ausschliessen. Aber es bestanden 1990 Chancen und es gibt sie heute noch, dass wir uns eine neue Zukunft bauen - Siebenbürgen und Banat ist auch unser Land und nicht nur Land der Rumänen, in dem wir Gäste sind. Ich würde es unverantwortlich anschauen, diese Chance nicht zu nutzen.

Welche Vision von Siebenbürgen haben Sie, welche Rolle können die Deutschen hier spielen.

Wir haben die Rolle eines Katalysators. Wenn die Rumänen und Ungaren über ihr Zusammenleben reden, dann kommt immer eine gewisse Schärfe, eine gewisse Polemik herein, die aus alten revisionistischen Vorstellungen kommen. Solange Deutsche noch da sind als Ferment stellt sich die Frage des Zusammenlebens in Siebenbürgen ganz anders. Ich behaupte, dass Siebenbürgen einen Sonderfall in der Geschichte darstellt - was eben das Zusammenleben verschiedener Kulturen angeht. In der Kriegesgefangenschaft im Jahre 1947 kriegte ich einen Artikel des "Le monde" in die Hand. Dort war ein Artikel über Siebenbürgen überschrieben mit dem Titel "La Transylvanie - une Suisse du balkan?". Nein, wir sind keine Schweiz des Balkans, viele Dinge sind hier anders als in der Schweiz aber es gibt auch Parallelen. Diese "Suisse du balkan" einfach aufzugeben wäre falsch. Wenn ich denke, dass ein ausgewanderter Siebenbürger vor zwei Jahren sagte: wenn ich dieses schöne Land sehe, dann würde ich es als Rumäne nie verlassen. Aber als Deutscher habe ich mich eben für Deutschland entschlossen." Das ist eine falsche, nationalistische Deutung unserer Existenz. Darum haben wir gerade auch als Dolmetscher zwischen Ungaren und Rumänen eine Rolle in diesem Land. Wir haben mit den Ungaren das historische Bewusstsein dessen, was Siebenbürgen einmal war. Wir haben aber anders als die Ungaren nie den Anspruch gehabt, einen Stand unserer Zunge hier in Siebenbürgen zu besitzen. Diese Situation müssen wir heute bewusst ausnützen.

Welche Wünsche haben Sie an Rumänien, welche an Deutschland?

Das wichtigste für uns sind unsere Schulen, die wir unbedingt weiterführen müssen. Das ist kein Selbstzweck. Ziel wäre, eine intakte, soziale und kulturelle Gemeinschaft zu erhalten, die auch einen politischen Charakterzug hat. Es geht nicht nur darum, dass wir unsere Sprache pflegen, es geht darum, dass wir eine Rolle spielen können in diesem Staat. Wir möchten unsere eigenen Organisation haben und pflegen können. Es geht nicht um die Repristination, die Wiedereherstellung eines Modelles, das 1876 zu Ende gegangen ist, als man das Selbstverwaltungsgebiet der Siebenbürger Sachsen auflöste - die Banater Schwaben hatten nie eines. Wir möchten von diesem Modell ausgehen - das übrigens vom ersten österreichischen Bundespräsidenten Renner als Modell für die ganze Region gepriesen wurde - wir müssen von diesem Modell ausgehen und daraus Formen entwickeln, die eben auch einer relativ kleinen Minderheit die Möglichkeit geben, eine gewisse Selbständigkeit zu haben und die eigene Kultur zu pflegen. Das gleiche wollen auch die Ungaren, die viel mehr sind, aber sie versehen es mit Begriffen, wie "lokale Autonomie", das sind Reizworte geworden, auf die die Rumänen nicht gut zu sprechen sind. Hier kommt nun unsere Rolle: Wir verstehen diese Begriffe und können sie auch positiv umsetzen und können hier in einem gewissen Sinn als Uebersetzer dienen.

Sie treten nicht als Minderheit auf, die mit grossen Forderungen an die Regierung tritt. Sie haben schon einen gewissen Status.

Wir kommen natürlich aus einer Zeit, wo man uns die eigenen Entscheidungsfreiheit genommen hat. Die Parteiführung entschied. Andererseits gab es die Genscher-Doktrin: Jeder soll frei entscheiden können, ob er geht oder nicht. Diese Doktrin war falsch, sie beruht auf einer Illusion. In einer solchen Situation entscheidet sich niemand frei - es geht nicht um die Frage, ob der Esel links oder rechts um den Heuhaufen herum geht. Helmut Schmidt machte einen Vertrag mit Ceausescu, dass 16 000 Personen pro Jahr auswandern können. Das geschah Jahr für Jahr für Jahr. Dann hiess die Frage plötzlich nicht mehr, ob man geht oder nicht, sondern nur noch, wann man geht - mit dem ersten, dem zweiten, dem dritten Schub... Es gab in dieser Zeit keine Individualentscheidung. Es gab einen Druck und auch einen Sog. Dagegen konnte man nicht auftreten. Auch nach 1990 wollten wir nicht sagen: Das deutsche Forum ist die Partei jener, die bleiben - sondern wir tun zwar nichts gegen das Weggehen. Wir sind nicht die Partei der Anti-Weggeher, aber wir versuchen für jene, die bleiben, gute Bedingungen zu kriegen.

Welche Wünsche haben Sie an die Bundesregierung?

Dass sie uns in diesem Bestreben verstehen lernt und hilft. Materiell - aber auch ideell. Ich habe das jetzt auch dem Bundespräsidenten Herzog gesagt: Um unsere Wirtschaft wieder auf die Beine zu bringen, müssten wir auf etwas zurückgreifen können, das unserem alten Bankensystem entspricht. Wir brauchten eine Genossenschafts- und Kreditbank. Natürlich, das könnte man auch mit dem Mehrheitsvolk der Rumänen entwickeln. Wir müssten hier unsere eigenen wirtschaftlichen Initiativen miteinbringen können. Dafür brauchen wir auch Rückwanderer. Es gibt bereits einen Verein von Rückwanderern. Wir möchte auch dafür werben, dass Leute, die in Deutschland gelernt haben, sich zu bewegen, wieder zu uns zurück kommen.

In welchen Grössenordnungen bewegt sich diese Rückwanderung?

Zur Zeit sind etwa l00 Personen in diesem Verein. Das sind nicht nur ältere Leute. Es hat darunter auch Leute, die nie in Rumänien waren, sondern aus Deutschland kommen und hier Fuss fassen möchten. Darunter hat es übrigens auch Schweizer, die sich hier etablieren möchten. Ich begrüsse das, dass auch Leue aus Oesterreich und der Schweiz kommen. Sehen Sie, hier schliesst sich der Kreis: ich sagte, mir sei beim Eintritt in die Schweiz nicht klar gewesen, warum die Schweizer sich nicht als Deutsche fühlen. Ich habe das schnell kapiert, nachdem ich in der Schweiz war. Nun wäre mir wichtig, dass wir nicht nur einseitig vom deutschen Staat gestützt werden, sondern auch von anderen. Von Leuten, die unsere Kultur mittragen und die als Ubertragungsmechanismus auch für die Verständigung mit Europa gebraucht werden können. Es gibt ja nicht nur Sprache, sondern auch die Mentalität.

Zum Schluss noch eine Frage zu den wirtschaftlichen Aussichten: Viele Leute sind pessimistisch und sagen, es geht ihnen schlechter als zur Zeit Ceausescus?

Ich bin kein Wirtschaftsfachmann sondern verlass mich hier auf meine Kollegen. Es fällt einfach aus, dass sich die Italiener, die Franzosen und auch die Japaner hier vielmehr engagieren als die Deutschen oder die Schweizer. Sowohl die Schweizer als auch die Deutschen gehen mehr auf Sicherheit als andere. Die Voraussetzungen für ein wirtschaftliches Aufblühen sind im Prinzip gut. Dass die Regierung eine halbherzige Politik verfolgt, dass sehen viele Leute mit Bedauern. Aber soll man darum warten, bis eine neue Regierung kommt oder soll man dazu beitragen, dass neue Tatsachen geschaffen werden...

Früher hatte ich das Gefühl, dass ein Schatten über diesem Land liegt - heute habe ich dieses Gefühl nicht mehr. Ist das subjektiv, habe ich mir das eingebildet?

Nein - das stimmt. Wenn die Leute sagen, es hat sich nichts geändert, dann muss ich antworten, dass ich mit Sicherheit falsch. Wir haben beispielsweise eine Freiheit des Wortes, natürlich ist das Parlament sehr schwierig und hat eine merkwürdige Dynamik, da fallen nationalistische Sprüche - trotzdem, es gibt eine andere Atmosphäre als früher.


(Paul Philippi ist am 21.November 1923 in Kronstadt/Brasov geboren. Er lebt heute in Hermannstadt/Sibiu.
Das Interview mit Prof.Dr.Paul Philippi wurde am 27.Mai 1995 in St.Moritz am Kongress der Föderativen Union der Europäischen Volksgruppen (Minderheiten-Kongress) im Hotel Laudinella von Dominik Landwehr aufgezeichnet.
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