Holocaust-Überlebende aus Osteuropa erzählen

Veranstaltungen mit rumänischen Gästen

Selten trifft man hierzulande Menschen aus Osteuropa, welche die nationalsozialistischen Konzentrationslager erlebt und überlebt haben. In der kommunistischen Ära war es ihnen verboten, laut von ihren Erfahrungen zu sprechen. Und Wiedergutmachungsleistungen aus Deutschland bekamen sie keine. Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks hat sich der Bann des Verschweigens gelöst. Das materielle Elend jedoch hat sich verschärft. Überlebende erzählen zurzeit in öffentlichen Gesprächen und in Schulklassen von ihrem Schicksal.


He. In Rumänien haben sich die Holocaust- Überlebenden vor einigen Jahren organisiert, die jüngsten unter ihnen waren Teenager während des Krieges und sind heute über 70 Jahre alt. Ladislaus Grün aus Tirgu Mures, der zurzeit mit seinem Leidensgenossen Carol Margulies in der Schweiz zu Besuch ist, hat in seiner Heimat Rumänien Kontakt zu gut 80 weiteren jüdischen Zeugen geknüpft, die Auschwitz oder Dachau überlebt haben. Doch inzwischen sind es nur noch 63.

Einbruch des Unheils in die Bukowina

Ladislaus Grün wurde im siebenbürgischen Städtchen Regin geboren, wo viele Sachsen lebten, so dass er neben seiner Muttersprache Ungarisch und der Schulsprache Rumänisch auch Deutsch lernte. Aus Tschernowitz in der Bukowina stammt Carol Margulies, seine Mutter war Wienerin, sein Vater Bukowiner Postangestellter im Kaiserreich. Dass die Völker - Rumänen, Juden, Ruthenen, einige Russen - dort friedlich zusammenlebten, hat er in seiner Kindheit erlebt. Dann sei es plötzlich Mode geworden, Antisemit zu sein. Es gab Regelungen, dass Juden nicht vor 12 Uhr mittags auf den Markt durften. Nachdem die Bukowina ein Jahr unter sowjetischer Herrschaft gewesen war, kamen im Juni 1941 deutsche Truppen nach Tschernowitz, und die 60 000 Juden der Stadt wurden in ein enges Ghetto gepfercht, dann nach Atagi am Dnjestr abtransportiert und von dort nach Transnistrien, wo sie auf eine elend dahinvegetierende ukrainische Bevölkerung trafen, die Opfer von Stalins Kampf gegen die «Kulaken» geworden war.

Im Frühjahr 1942 kamen die Bukowiner Juden in ein Lager unweit von Mogilow, wo über den Sommer etwa die Hälfte der fast 5000 Menschen an Typhus starb. Die übrigen wurden in ein Arbeitslager am Bug verbracht, wo die Deutschen Zwangsarbeiter rekrutierten. Suppe aus Futtererbsen, später aus Maismehl war die tägliche Mahlzeit während vier Jahren. Der junge Margulies musste mit den Männern zum Torfstechen. Anfang 1944 kamen deutsche Soldaten in zerschlissenen Uniformen, die sich vor den Russen versteckten und den verschleppten Juden ankündigten: «Hitler kaputt».

Ladislaus Grün war als Jugendlicher mit seiner Familie aus Siebenbürgen nach Auschwitz deportiert worden; von dort musste er wie Tausende zu Fuss nach Dachau, war immer unter der Kontrolle seines Vaters, der im Ersten Weltkrieg gedient hatte und wusste, dass man - ausgehungert - nicht plötzlich grosse Mengen essen sollte. Bei der Befreiung durch die Amerikaner, als die Speisekammern plötzlich offen waren, sah er viele Lagerinsassen an Überessen sterben. Dass Grün, damals 14jährig, die Selektion überlebte und zur Arbeit delegiert wurde, war sein Glück. Er erinnert sich genau an die harte Arbeit, die darin bestand, einen unterirdischen Hangar aus Beton zu erstellen und Eisenbahnschienen für die Zufahrt zu legen.

Margulies und seine Familie - der Vater war während der Haft erschossen worden - wurden 1946 von den Russen nach Hause geschickt, doch sie fanden ihr Haus ausgeplündert. Die Mutter bekam eine kleine Pension, er selber arbeitete, während der kleine Bruder die Schule beendete.

Gespräche mit Schulklassen

Dass die beiden Zeugen zweier totalitärer Regime während einer Woche in der Schweiz weilen und in Schulklassen in Zürich, Wetzikon und Basel über ihr Schicksal erzählen, geht auf die Initiative des Journalisten Dominik Landwehr zurück. Mit Unterstützung des Migros-Genossenschafts-Bundes und in Zusammenarbeit mit dem Fonds für Menschlichkeit und Gerechtigkeit werden auch zwei öffentliche Gespräche mit den Gästen aus Rumänien durchgeführt. An diesen nimmt als weiterer Zeuge der Holocaust-Überlebende Gabor Hirsch teil, der 1956 als Flüchtling aus Ungarn in die Schweiz kam. Ein weiteres öffentliches Gespräch findet am 30. Oktober von 18 bis 20 Uhr im Migros-Hochhaus Limmatplatz, Zürich, statt.

Neue Zürcher Zeitung vom 29.10.97


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updated last on November 11, 1997