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Warum Computer "made in Switzerland" eine Seltenheit sind.(Beitrag in "Loading History von 2001)

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"Jede Minute kostet 33 Franken" /Eine Zeitreise in die siebziger Jahre

25 Jahre nach der Erstauflage ist Emil Zopfis Roman "Jede Minute kostet 33 Franken" wieder erschienen. Er gibt ein Stimmungsbild jener Zeit, in der Computer als geheimnisvoll-unheimliche Maschinen nur als Bedrohung für Mensch und Menschlichkeit wahrgenommen werden konnten. Die Neuauflage verdankt sich dem Fortschritt der Computertechnik: Produziert wird das Buch im Print-on-Demand-Verfahren.


Beklemmung stellt sich beim Lesen des Buches ein - damals wie heute: Unendlich langsam verrinnt die Zeit in Zopfis Erzählung, und mit jeder Minute gerät die Welt von Kern, Schichtleiter im Rechenzentrum der Computerfirma ICS in Zürich Altstetten, ein Stück mehr aus den Fugen. Als schliesslich Rauch aus den Speicherkästen quillt, ahnt der Leser, dass sich dieses System nicht mit einem einfachen Reset wieder starten lässt. Das Bild aus dem Traum des Schichtleiters wird immer realer: "Greif in die Eingeweide der Maschinerie hinein. Reiss an den Drähten und Kabeln. Zerr das Zeug ans Licht. Trample den Haufen zusammen. Die gedruckten Schaltungen, Stecker, Bandkabel, Speicherplatten. Reiss die Bänder von den Spulen . . ." 

Der Computer ist der Klassenfeind 

Die erneute Lektüre des Buches*1 aus dem Jahre 1977 ist eine Zeitreise in die Befindlichkeit jener siebziger Jahre, in denen das Wort Computer noch nicht in aller Leute Munde war. Zopfis Erzählung spielt in der Nacht vom 29. auf den 30. April 1975 - in jenen Stunden, als die letzten US-Truppen Saigon verliessen und damit der Vietnamkrieg ein Ende fand. Der Vietnamkrieg ist eines der dominierenden Themen in der Öffentlichkeit jener Tage und gleichzeitig auch das Leitmotiv der Protest-Generation von 1968, zu der auch Schichtleiter Kern gehört. Oder gehört hat, denn Kern opfert seine Ideen von mehr Gerechtigkeit der lockenden Karriere beim Computerkonzern ICS, hinter dem sich unschwer IBM erkennen lässt. Er wird zum Sklaven des Systems, und er zappelt im starren Korsett der durch die Maschine diktierten Arbeit - an deren Perfektionierung er selber mitgearbeitet hat. Von ihm stammt die Mahnung, die überall an den Wänden hängt: "Jede Minute kostet 33 Franken", er hat überall Uhren anbringen lassen.
Die Zusammenarbeit der Menschen in jenem Rechenzentrum in Zürich Altstetten lässt sich nicht auf perfekte Art organisieren; der Leser erhält im Lauf dieser einen Nacht einen Blick in die Innenwelt des ehrgeizigen Schichtleiters, der mit dem Tod seines Kindes und der Trennung von seiner Frau nie fertig geworden ist. 

Exotisches Thema 

Ein Computer ist 1975 eine grosse Maschine, die mit Lochkarten gesteuert wird und für deren Bedienung mehrere Techniker erforderlich sind. Zopfi schrieb damals gewiss kein technisches Buch, erreichte aber in seinen Beschreibungen jener kolossalen Maschine immer wieder eine sprachliche Verdichtung, die beeindruckt und das Buch auch heute noch lesenswert macht: "Signallampen glimmen auf. Hundert gleichzeitig. Lösen sich dann in ein aufgeregt blinkendes Muster auf, das die stumpfe Front des Computers belebt. Maschinentakt - und die Schreibmaschine hackt mit ihren Stahlfingern aufs Papier ein. Magnetbandrollen laufen an. Das braune Band spult ruckweise ab, wellt sich und biegt sich in die Vakuumkanäle hinein und schlängelt sich zwischen die Leseköpfe hindurch".
Der Rezensent dieser Zeitung hat in seiner Besprechung im Jahre 1978 Zopfis Unterfangen gelobt, gerade weil sie die neue Welt der Computer, "diese geheimnisvoll-unheimliche Welt", wie er sie nannte, dem Laien zugänglich mache. Das war offenbar ein Risiko - wie kann man es sich sonst erklären, dass der Limmat-Verlag den Begriff Computer auf keinen Fall im Titel haben wollte. Zu wenig Leute, so fürchteten die Verantwortlichen offenbar, hätten sich für ein derart exotisch anmutendes Thema interessiert. 

Schattenseiten 

"Jede Minute kostet 33 Franken" ist noch in einem weiteren Sinn eine Zeitreise: Die Erzählung dokumentiert eine kritisch-ablehnende Haltung der Technik gegenüber, die in der Schweiz damals en vogue war. Sie spricht vom Janusgesicht der Technik und sieht nur allzu oft deren Schattenseiten: So erstaunt es auch nicht, dass in der geschilderten Nacht die Löhne einer fiktiven Schweizer Waffenfabrik gerechnet werden, während die Programmierer nebenan über einem Fehler in den ballistischen Bahnen von Raketen aus ebendieser Waffenfabrik grübeln. Und sie bestätigt den Eindruck, dass diesseits und jenseits des Atlantiks ganz unterschiedlich über diese neue Technologie gedacht wurde.
Emil Zopfis Figuren sind keine Erfinder oder Mitgestalter jener neuen Technik. Sie sind im besten Falle Moderatoren, im schlechtesten Fall Opfer. Eine Lösung - sie ist im Buch nur angedeutet - gibt es für sie allenfalls im Ausstieg aus dieser Welt. Ein "Frühwarnsystem", hat der Schweizer Schriftsteller Otto F. Walter die Erzählung damals in einer Fernsehsendung genannt. Die Computertechnologie galt also als Gefahr, Intellektuelle waren gefordert als Warner. Weniger zahlreich waren aber jene gesellschaftlichen Seismographen, welche die Potenziale der neuen Technologie erkannten. Es fehlte in der Schweiz an jenen technikfreundlichen Milieus, in denen sich die Ideen und Anregungen, wie sie etwa der Schweizer Informatik-Pionier Niklaus Wirth 1977 von seinem Aufenthalt im Palo Alto Research Institute (Parc) von Xerox zurückbrachte, erörtern liessen.
Dem Autor daraus einen Vorwurf konstruieren zu wollen, wäre wohl falsch - Zopfi zeichnet mit seinem Roman ein Bild der Stimmung jener Zeit, in der eine kreative Auseinandersetzung mit der neuen Welt der Computer bestenfalls an einigen wenigen Instituten Technischer Hochschulen stattfand. Ein Computerroman, der die Menschen als neugierige, erfindende und gestaltende Subjekte zeigt, wie etwa Tracy Kidders berühmt gewordenes Buch "The Soul of a New Machine" aus dem Jahre 1981, konnte unter diesen Verhältnissen nicht entstehen. 

Digitaldruck ermöglicht Kleinstauflagen 

Zopfis Buch erscheint nicht in einer gewöhnlichen Neuauflage, sondern im neuartigen Print-on-Demand-Verfahren gewissermassen tröpfchenweise: Für jede Bestellung wird ein neues Exemplar gedruckt. Nach Auskunft des Autors wurde in diesem speziellen Fall sogar weder auf digitale Druckvorlagen noch auf Filme zurückgegriffen, stattdessen wurde schlicht ein altes Exemplar eingescannt. Der Leser merkt von all dem nichts - er hält ein normales Taschenbuch in der Hand. Nur ein sehr genauer Blick auf die Typografie zeigt, dass die Buchstaben manchmal an den Rändern ausfransen. Das Verfahren wird hierzulande von der Firma Books on Demand*2 angeboten. Gedruckt werden die Bücher tatsächlich "on demand" einmal pro Woche, und zwar in Deutschland. Dabei kommt ein Digitaldruckverfahren der Firma Xerox zum Einsatz. Das Bestellvolumen aus der Schweiz liegt heute nach Angaben eines Firmensprechers bei respektablen 250 000 Seiten im Monat. Eine eigene Maschine würde sich in der Schweiz ab einem Volumen von einer Million Seiten pro Monat lohnen. 

Unsterbliches Medium Buch 

Finanziell sieht die Sache einfach aus, wie sich am Beispiel eines Paperback-Titels mit 100 Seiten Umfang zeigt: Der Kunde bezahlt eine einmalige Grundgebühr von 350 Franken und trägt die ebenfalls einmaligen Masteringkosten von 80 Franken. Alle weiteren Kosten fallen nur noch für die einzelnen Exemplare an und liegen zwischen 5 und 6 Rappen pro Seite. Zwar werden die Gesetze der Ökonomie auch bei diesem Modell nicht ausgehebelt, denn natürlich sinken die Kosten mit steigender Auflage. Entscheidend ist aber, dass die Auflage schrittweise gedruckt werden kann.
Ohne Zweifel ist dieses Verfahren interessant für Kleinauflagen und Drucksachen, die im Eigenverlag erscheinen. Daneben produzieren aber bereits namhafte Verlage - darunter der Haffmans-Verlag und neuerdings auch Orell Füssli - gewisse Titel auf diese Art und Weise. Das Schweizer Buchzentrum ist bei Books on Demand nicht nur Partner, sondern auch mitbeteiligt. Nach Angaben des Firmensprechers wird das Verfahren auch für den Druck von Dissertationen und Vorlesungsunterlagen benutzt. Die Schweizer Niederlassung von Books on Demand registriert auf Wunsch einen Titel auch im Verzeichnis der lieferbaren Bücher (VLB). Die Geschichte dieser "Books on Demand" ist ein weiteres Beispiel, dass sich Vitalität des alten Mediums Buch und Potenzial der Digitaltechnologie nicht auszuschliessen brauchen, sondern durchaus befruchtend füreinander wirken können.
*1 Emil Zopfi: Jede Minute kostet 33 Franken. Zürich, Limmat-Verlag 1977. (www.zopfi.ch)
*2 www.bod.ch
Dominik Landwehr

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Mailanschrift des Autors: dlandwehr@bluewin.ch

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