Friedensarbeit im Dienste des Völkerrechts

Erfahrungen aus der Praxis beim IKRK


Vortrag für die Volkshochschule des Kantons Zürich

Ringvorlesung: Die Unfähigkeit, Frieden zu wahren

20.Juni 1995


Einführung

Sehr geehrte Damen und Herren

"Friedensarbeit im Dienste des Völkerrechts - Erfahrungen aus der Praxis beim IKRK"Das ist der Titel meines Vortrages. Friedensarbeit im Dienste des Völkerrechtes - Das klingt für mich nun etwas gar selbstverständlich und selbstgerecht. Das Völkerrecht als Friedensarbeit: Die These, die hinter dieser Formulierung steckt möchte ich zunächst einmal als Frage formulieren. Ist das humanitäre Völkerrecht überhaupt ein Beitrag zum Frieden.

Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen kurz skizzieren, auf welche Art und Weise ich die Antwort auf diese Frage geben möchte - Sie erhalten gleichzeitig einen Ueberblick über den Aufbau meines Vortrages.

Ich möchte Ihnen zunächst anhand einiger persönlicher Erfahrungen erklären, warum ich den Titel als Frage auffasse.

Dann öffne ich drei grosse Klammern und erkläre

  1. Was ist das Humanitäre Völkerrecht
  1. Wo hat dieses Gedankengut in den letzten 50 Jahren eine Rolle gespielt
  2. Wo spielt das Humanitäre Völkerrecht heute eine Rolle

Erst dann versuche ich eine Antwort auf die Frage: ist das Humanitäre Völkerrecht ein Beitrag zum Frieden.

Zunächst jetzt also zu meinem persönlichen Einstieg

Peshawar - Pakistan, Sommer 1988. Wir lassen Peshawar, dieses orientalische Handelsstadt am Fuss des Khyber Passes hinter uns und fahren mit einem Geländefahrzeug ins Grenzgebiet von Afghanistan. Wir - ein afghanischer Field Officer und ein ebenfalls afghanischer Mediziner. Schon nach 2 Wegstunden gibt es einen längeren Halt: Wir betreten nun das eigentliche Grenzgebiet der sogenannten Tribal Area, die unter einer besonderen Administration steht. Das bedeutet unter anderem, dass wir einige bewaffnete Milizen mitnehmen. Sie fahren in einem Kleinlastwagen, einem sogenannten Pick Up voraus. Ihr Wert ist mehr symbolisch, ihre Anwesenheit bedeutet, dass wir uns mit Genehmigung der lokalen Autoritäten bewegen. Das Grenzgebiet ist eine bizarre, arride Landschaft mit Bergen und Tälern, entlang der Flüsse sehen wir fruchtbares Schwemmland, das schon bald wieder schlagartig in die rot braune Steinwüste übergeht. Diese Landschaft erscheint dem westlichen Auge immer wieder als atemberaubend, fast traumhaft schön, auch wenn die Sonne die Temperaturen leicht auf 45 Grad ansteigen lässt.

Immer wieder kleine Dörfer und Siedlungen entlang der Strasse, typische Lehmhäuser mit hohen Mauern, in jedem Dorf ein Bazar, wo der tägliche Bedarf an Waren gedeckt werden kann, dazu ein Teehaus, gleich daneben wird Essen serviert - gibts verschiedene Curries mit dem Fladenbrot Nan. Jedermann ist bewaffnet. Das ist wörtlich zu nehmen, Frauen sehen wir keine. Die Waffe ist Zeichen des Stolzes und der Souveränität, Spannungen fühlen wir hier keine und sobald unser Wagen hält sind wir von Dutzenden von Kindern umringt. Im Grenzgebiet von Pakistan und Afghanistan fällt es uns schwer festzustellen, wer Afghane, wer Pakistaner ist. Die Pakistaner sind hier sesshaft, die Afghanen als Flüchtlinge hier - aber beide sind Pasthunen, beide sprechen dieselbe Sprache, das Pashtu.

Mittagspause in einem örtlichen Restaurants mit Fleischcurry und Nan-Brot, dazu Coca Cola und später Tee, danach geht es weiter. Am frühen Nachmittag kommen wir an in einem der Ersthilfe-Posten, welche das IKRK entlang der pakistanisch-afghanischen Grenze unterhält. Ein einfaches Haus, umgeben von einer hohen Mauer. Ein Behandlungszimmer mit einer einfachen medizinischen Ausrüstung, daneben ein Ruhe- und Aufenthaltsraum für Arzt und Pfleger, die hier Dienst tun. Der Posten dient der Pflege von Verwundeten, welche die afghanischen Widerstandskämpfer, die Mujaheddin selber über die Grenze bringen. Viele von ihnen sind Tage, einige sogar Wochen gereist, oft mit schlimmsten Verletzungen, nicht selten mit von Minen zerfetzten Gliedmassen. Ihre Wunden sind voller Eiter, nicht selten hat es sogar Maden darin. Im Ersthilfe-Posten des IKRK werden sie frisch verbunden, sie erhalten eine Infusion, ihr Zustand wird stabilisiert und so treten sie dann den letzten Teil der Reise zum IKRK Spital in Peshawar an. Die Ersthilfe-Posten dienen aber noch einem anderen Zweck: Sie erlauben es, mit den verschiedenen Gruppen des afghanischen Widerstandes, die hier in dieser Gegen ihr Quartier haben, Kontakt zu halten. Ihnen, den Kommandanten statten wir in den Tagen unseres Aufenthalts an der Grenze unseren Besuch ab. Dabei spielt sich die immer ab: wir werden zum Tee eingeladen, setzten uns auf Teppiche im Zimmer des Kommandanten, tauschen Höflichkeiten aus. Der Kommandant bedankt sich in der Regel für die medizinischen Dienste, welche das IKRK leistet. Dann können wir unser Anliegen vorbringen: Wir fragen den Kommandanten, ob er Kriegsgefangene gemacht hat und falls ja, ob wir diese besuchen könnten, gemäss den Regeln welche die Genfer Konventionen vorschreiben. Die Antwort ist immer gleich: Nein, man habe in letzter Zeit keine Gefangenen gemacht und falls man welche mache, dann würde man sie im Landesinnern halten. Dort kann das IKRK aber nicht arbeiten. Damit ist das Thema erledigt. Etwas leichter haben einer Kämpfer in einen Ersthilfekurs zu schicken, den wir in diesen Tagen in unserem Posten abhalten. Hier erhalten wir eine günstige Antwort.

Meine afghanischen Kollegen halten den 2 tägigen Ersthilfekurs ab, währenddem wir unsere Besuche fortsetzen. Zum Abschluss des Ersthilfekurses halten wir eine Lektion über Kriegsvölkerrecht. Unsere Botschaft ist denkbar einfach. Wir bitten die Mujaheddin-Kämpfer einige Regeln zu beachten?

  1. Ein Verwundeter - auch wenn es ein Feind ist - muss geschützt werden. Er gehat ein Anrecht auf Pflege.

2. Ein Kriegsgefangener ist kein Feind mehr und muss eine würdige Behandlung erfahren. Das bedeutet namentlich auf Folterungen und summarische Exekutionen zu verzichten.

3. Zivilisten und zivile Einrichtungen sind zu verschonen

4. Das Rotkreuzzeichen ist ein international anerkanntes Emblem. Personen und Fahrzeuge, die mit diesem Emblen ausgestattet sind, dürfen nicht angegriffen werden.

Afghanische Menschen sind ausgesprochen höflich und beachten die Regeln der Gastfreundschaft. Diese verbieten heftige und kontroverse Diskussionen an einem solchen Anlass. Trotzdem erhalten wir einige Fragen: Zum Beispiel diese: Wenn wir schon neutral seien, wir wir sagen, warum würden wir dann unsere Regeln nicht auf der anderen Seite verbreiten und wie könnten wir es zulassen, dass die Russen - es ist immer von Russen, nie von Afghanen die Rede - ihre Frauen und Kinder und Brüder töteten, ihre Häuser und Siedlungen zerstörten. Die afghanischen Mujaheddin kämpften um ihre nackte Existenz und jeder getötete Russe sei ein kleiner Erfolg in diesem Kampf.

Ich brauche die nunfolgende Diskussion nicht aufzunehmen und möchte Ihnen stattdessen schildern, was sich in mir abspielt:

Ich empfinde zunächst Scham. Unser Auftritt hier, ist er nicht peinlich, unsere Botschaft, ist sie nicht eine Anmassung. Da kommt also ein 28 jähriger Schweizer aus dem tiefsten Frieden mit einem wohlgeregelten Leben in diesen entferten Winkel der Welt und gibt diesen Menschen Verhaltensanweisungen. Was wissen wir, was weiss ich vom Leben dieser Menschen, die uns zwar sympathisch sind, dessen Leben und Alltag sich aber auf einem anderen Stern abzuspielen scheint. Ein Bild, das etwas über Alltag und Nöte dieser Menschen sagt, hat sich tief in meinem Gedächtnis eingegraben: Es zeigt einen grossen bärtigen Mann mit einem Turban. Er sitzt auf einem Spitalbett neben einem vielleicht 8 jährigen Knaben und gibt ihm mit einem Löffel zu essen. Der Junge hat ein Auge verbunden, hilflos hebt er zwei verbundene Armstummel. Die Geschichte hinter dem Bild: Der Junge ist ein Hirtenbub aus der Provinz Kandahar. Beim Schaf- und Ziegenhüten fand er eine Mine, die in seinen Händen explodierte. Dabei verlor er beide Hände und ein Auge. Auf dem anderen Auge vermag er nur noch hell und dunkel zu unterscheiden.

Aber meine Zweifel gehen noch weiter: Was für eine merkwürdige Botschaft verbreiten wir hier. Zusammengefasst sagen wir ja nichts anderes als das Folgende: Bitte beachtet im Krieg gewisse Regeln. Töten, so müssten man in letzter Konsequenz formulieren, töten ist erlaubt, solange man dabei gewisser Regeln beachtet. Wieviel einfacher hatten des da die christlichen Missionare mit dem Evangelium und der Nächstenliebe und dem Gebot: Du sollst nicht töten.

Und letztlich die Kardinalfrage: Was nützt mein Aufritt hier. Und nicht nur mein Auftritt. Seit 1979, seit der Invasion Russlands in Afghanistan und dem Ausbruch des Bürgerkrieges haben Dutzende von IKRK Delegierten, viele ähnlich jung und unerfahren wie ich, solche Kurse bestritten. Hunderte, wenn nicht gar Tausende solcher Kurse sind in diesem Kriegsgebiet gehalten worden. Was hat es genützt? Der Krieg in Afghanistan ist zwar aus den Schlagzeilen. Wenn aber - und das ist selten genug - davon die Rede ist, dann nähren diese Meldungen den allerschwärzesten Pessismus. Der Bürgerkrieg ist auch nach dem Abzug der russischen Truppen weitergegangen. Das Land scheint in Anarchie zu versinken - in der Hauptstadt Kabul gibt es kaum mehr ein Haus, das nicht zerstört ist.

Was ist das Humanitäre Völkerrecht überhaupt

In diesen Ausführungen wurde bisher ungefragt der Begriff "Humanitäres Völkerrecht" benutzt. Was ist das überhaupt?

Die Antwort in einem Satz: Das Humanitäre Völkerrecht schützt die Opfer des Krieges. Es soll dann angewendet werden, wenn andere zwischenstaatliche Rechtssysteme nicht mehr greifen und ausser Kraft sind. Im Krieg, in Konflikten eben.

Soweit die kurze Antwort. Nun eine etwas längere Antwort auf meine Frage.

Der Grundgedanke, der dem Humanitären Völkerrecht zugrunde liegt verdanken wir einer Person, einem Schweizer Philantropen des 19.Jahrhunderts, einem Eigenbrötler, der von der bürgerlichen Gesellschaft ausgeschlossen wurde, der sich in Heiden im Kanton Appenzell versteckte. Sie alle kennen den Namen dieses Schweizers, die Rede ist von Henry Dunant.

"Un souvenir de Solferino" oder "Eine Erinnerung an Solferino" heisst das Buch, das Henry Dunant 1862 publizierte. Er reflektiert darin die Erfahrung, die er 1859 machte. Ein Zufall führte ihn in jenem Jahr nach Norditalien, dort wurde er Zeuge der Schlacht von Solferino. Frankreich kämpften gegen Oesterreich.

Dunant wird Zeuge eines Gemetzels von ungeahntem Ausmass. In einer ersten, reflexartigen Handlung hilft er mit - zusammen mit den Frauen dieser Gegend - die Verwundeten und Sterbenden zu pflegen. Ein Sanitätsdienst, der diesen Namen verdient, gibt es in keiner der beteiligten Armeen. Dunant kehrt tief berührt in seine Heimatstadt Genf zurück und verfasst dort seine Schrift "Eine Erinnerung an Solferino". Darin skizziert er verschiedene Ideen und legte mit seinem Buch den Grundstein für das Humanitäre Völkerrecht:

"Wäre es nicht wünschenswert, dass die hohen Generäle verschiedener Nationen, wenn sie gelegentlich wie beispielsweise in Köln oder Châlons, zusammentreffen, diese Art von Kongress dazu benutzen, irgendeine, internationale, rechtsverbindliche und allgemein hochgehaltene Uebereinkunft zu treffen, die wenn sie erst festgelegt und unterzeichnet ist, als Grundlage dienen könnte, zur Gründung von Hilfsgesellschaften für Verwundete in den verschiedenen Ländern Europas? Es ist um so wichtiger, über solche Massregeln schon im voraus eine Uebereinkunft zu treffen, weil Kriegsführende, wenn die Feindseligkeiten einmal ausgebrochen sind, nicht mehr geneigt sind, diese Fragen anders als unter dem Gesichtspunkt des eigenen Landes und dereigenen Soldaten zu besprechen. - Menschlichkeit und Zivilisation verlangen gebieterisch, dass man ein Werk, wie wir es hier angedeutet haben, in Angriff nimmt. Welcher Fürst würde solchen Gesellschaften seine Unterstützung verweigern? Welcher Herrscher wäre nicht glücklich, wenn er den Soldaten seiner Armeen die Sicherheit geben könnte, dass sie unverzüglich angemessene Pflege finden werden, sobald sie verwundet sind?" (Dunant, Solferino, S.155/56)

Die Botschaft von Dunant verhallte nicht ungehört und bereits im Jahre 1864 konnte die erste Konvention unterzeichnet werden. Sie sollte das Los, der im Felddienst verwundeten Militärpersonen lindern. Bereits dort ist auch das Zeichen, das diese Arbeit ermöglichen soll, definiert:

"Eine deutlich erkennbare und übereinstimmende Fahne soll bei den Feldlazaretten, den Verbandplätzen und Depots augesteckt werden. .... Ebenso soll für das unter dem Schutz der Neutralität stehende Personal eine Armbinde zulässig sein; aber die Verabfolgung eines solchen bleibt der Militärbehörde überlassen. Die Fahne und die Armbinde sollen ein rotes Kreuz auf weissem Grund tragen" (Dunant, Anhang, S. 169)

Interessant, wer diese erste Konvention unterzeichnete: Die Schweizerische Eidgenossenschaft, Seine Königliche Hoheit der Grossherzog von Baden, seine Majestät der König der Belgier, Seine Majestät der König von Dänemark, Ihre Majestätig die Königin von Spanien, .... weiter Italien, Niederlande, Portugal, Preussen und Württenberg. Die erste Genfer Konvention war ein internationales Dokument, das gewichtige Staaten des damaligen Europas unterschrieben.

Die Ideen der ersten Konvention werden weiter entwickelt, es folgen weitere Konventionen, sie betreffen den Schutz von Verletzten auf hoher See und den Status von Kriegsgefangenen.

Der zweite Weltkrieg markiert einen wichtigen Einschnitt in der Entwicklung des Humanitären Völkerrechtes. War die Zivilbevölkerung im Ersten Weltkrieg in einem gewissen Sinn Zuschauer, währenddem die Armeen auf den Schlachtfeldern und in den Schützengräben kämpften, so war sie im Zweiten Weltkrieg wichtiges Ziel. Dazu dazu gehören die flächendeckenden Bombardierungen von Städten, dazu gehört das menschenverachtende Vorgehen der Armeen, das einen gewaltigen Blutzoll unter der Zivilbevölkerung forderte.

Unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges gelang es der Internationalen Gemeinschaft ein Vertragswerk zu schaffen, das in seiner breiten Akzeptanz nachher niemehr übertroffen wurde und das heute noch in Kraft ist: Die Rede ist von den vier Genfer Konventionen von 1949. 183 von 186 Staaten haben diese Konventionen unterzeichnet.

Die Genfer Konventionen enthalten Regeln für folgende Bereiche:

  1. Die Behandlung von Verwundeten zu Land. Verwundete geniessen Schutz, egal ob Freund oder Feind. Dasselbe gilt für Sanitätstruppen und ihre Einrichtungen. Schutzzeichen sind das Rote Kreuz und - wichtig - gleichwertig der Rote Halbmond.
  1. Die zweite Konvention betrifft Verwundete zur See, ist aber sonst deckungsgleich mit der ersten Konvention.
  1. Die dritte Konvention betrifft Kriegsgefangene. Auch sie geniessen Schutz und müssen in menschenwürdigen Bedingungen gehalten werden. Ein besonderer Teil regelt den Kontakt mit ihren Angehörigen über sogeannte Rotkreuz-Botschaften.
  1. Die vierte Konvention schliesslich beschäftigt sich mit der Zivilbevölkerung vorab mit der Stellung und Behandlung von Zivilinternierten.

Die Genfer Konventionen von 1949 haben einen grossen Fehler: Sie regeln nur internationale Konflikte. Allen anderen Konflikten ist nur gerade eine halbe Seite gewidmet - der sogenannte Artikel 13.

Welche Konflikte seit dem 2.Weltkrieg waren nun aber solche, internationale Konflikte? Der Koreakrieg? - der Krieg in Biafra oder Vietnam? - Der Krieg zwischen Indien und Pakistan? - Viele der Kriege der letzten 50 Jahre entstanden aus internen Konflikten, die später internationalisiert wurden, viele sind Kolonialkriege und viele Konflikte, gerade in Afrika, sind Spätfolgen der Entkolonialisierung.

Diese Tatsache führte zur Konferenz von 1977 und den zwei Zusatzprotokollen. Sie versuchen die grössten Defizite der vier Genfer Konventionen wettzumachen: den Schutz der Zivilbevölkerung (Protokoll I) und die Regeln in nicht-internationalen Konflikten. Diese Protokolle hat aber nur gerade die Hälfte aller Staaten unterschrieben. Wichtige Staaten stehen abseits, dazu gehören beispielsweise auch die USA, welche das 2.Zusatzprotokoll nicht unterzeichnen wollen, weil sie befürchten, terroristische Vereinigungen könnten sich dereinst auf den Schutz durch dieses Protokoll berufen.

Zwischenfrage - welche Rolle spielt denn eigentlich das IKRK im Bezug auf das Humanitäre Völkerrecht? - Es ist wenn man so will dessen Hüter, nicht aber dessen Träger. Das heisst es wacht über Einhaltung und treibt seine Weiterentwicklung voran. Träger ist die Internationale Gemeinschaft - jene Staaten, welche die verschiedenen Abkommen unterzeichnet haben.

Die völkerrechtliche Basis, auf die sich die IKRK-Arbeit stützt ist heute ausserordentlich schmal: Im ehemaligen Jugoslawien, im Kaukausus oder in Ruanda - es sind nur die wenigen Bestimmungen des sogenannten Artikels 13 der Genfer Konventionen, welche die völkerrechtliche Grundlage für die Arbeit des IKRK bilden.

Hinzu kommt ein zweiter gravierender Schönheitsfehler: die fehlenden Sanktionsmöglichkeiten. Das Humanitäre Völkerrecht sieht vor, dass die Signatarstaaten selber Gerichtbarkeit und Santkionen definieren. Das ist nicht befriedigend. Im Falle des Konfliktes im ehemaligen Jugoslawien konnte nun immerhin ein internationales Tribunal eingesetzt werden. Dass die Schweiz dort eine gewisse Rolle spielt, darf als erfreulich gewertet werden.

Trotzdem - die Bedeutung des Humanitären Völkerrechtes hat zugenommen. Das stellt beispielsweise der Zürcher Völkerrechtsprofessor Dietrich Schindler fest, der auch jahrelang im Komitee, im innersten Führungsausschuss des IKRK war. Dies aus einem einfachen Grund: Es gibt mehr Konflikte als früher - das gilt speziell seit dem Ende des Kalten Krieges.

Fassen wir zusammen: Der Charakter der Kriege hat sich in diesem Jahrhundert verändert und wird sich weiterverändern: Stichworte dazu sind:

Und - das Humanitäre Völkerrecht muss weiterentwickelt werden. In welche Richtung das gehen könnte, zeigt das IKRK auf. Drei grosse Themen standen in letzter Zeit auf der völkerrechtlichen Agenda des IKRK:

  1. Die Aechtung und ein Verbot von Landminen. Minen gehören zu den billigsten Waffensystemen. Sie lassen sich ohne Aufwand und Risiken vergraben. Millionen Minen lauern heute in Konfliktgebieten und ehemaligen Konfliktgebieten. Und: es sind nicht nur Russland und China, die solche Minen produzieren, es sind auch Italien, Frankreich und Deutschland.
  2. Ein Verbot für blendende Waffen, die zur Erblindung führen. Es geht hier um Laser-Waffensysteme, die sich zur Zeit noch in Entwicklung befindet.
  1. Schliesslich hat sich das IKRK vor einigen Monaten mit dem Bedeutung des Wassers in Konflikten befasst. Dass es sich hier um ein wichtiges Anliegen geht, zeigt ein Blick in den Nahen Osten.

Historischer Rückblick: Wo spielte das IKRK in den letzten 50 Jahren eine Rolle

Lassen Sie mich noch einmal von meinen wenigen persönlichen Erfahrungen abstrahieren. Das IKRK hat in vielen Konflikten in den vergangenen 50 Jahren eine Rolle gespielt, den Gedanken des Humanitären Völkerrechts Nachdruck verschafft und den Opfern von Konflikten geholfen.

Daneben gab es Konflikte, wo dies nicht geschah. Am schmerzlichsten drückt sich das im Abseitsstehen des IKRK im Zweiten Weltkrieg aus. Das Komitee war schon aus 1942 aus zuverlässigen Quellen bestens über die Ermordung der Juden in Deutschland informiert. Aus Rücksicht auf die Schweiz unterblieb eine Aktion. Ueberhaupt waren in jener Zeit die Grenzen zwischen dem IKRK und der Eidgenossenschaft nicht klar. Das zeigte sich unter anderem daran, dass der Bundesrat Philipp Etter Mitglied des Komitees, des innersten Führungsausschusses des IKRK war.

Es gab seit dem Zweiten Weltkrieg andere Konflikte, wo das IKRK - diesmal aber nicht aus eigenem Verschulden - ausgeschlossen blieb. Der Vietnamkrieg gehört dazu, Konflikte in Osteuropa und der Sowjetunion ebenso.

Aber - in einer Reihe von Konflikten der jüngeren Zeit, spielte das IKRK eine wichtige Rolle. Ich erinnere etwa an die Rolle des IKRK beim Austausch von Kriegsgefangen im Golfkrieg, überhaupt an die Rolle, welche die Organisation im Nahen Osten. Uebe 20 Jahre waren IKRK Delegierte beispielsweise in Israel.

Auch in Südafrika war das IKRK in den letzten Jahren fast ununterbrochen tätig. Welchen Beitrag konnte es dort an den Friedensprozess leisten. Zu den Sicherheitsgefangenen, welche Schweizer Delegierte dort jahrelang besuchten, zählte auch Präsident Nelson Mandela. Unter den Delegierten auch der spätere IKRK Generaldirektor Jacques Moreillon. Ich zitiere aus einem Aufsatz, den er geschrieben hat:

"Am l0.Mai 1994 vertrat ich das IKRK bei der Amtsübernahme von Präsident Nelson Mandela, den ich von 1974 bis 1976 mehrmals besucht hatte, als er auf Robben Island in Haft sass. 1992 hatte ich das Privileg, mit ihm zwei Stunden unter vier Augen in seinem Hotelzimmer in Oslo zu verbringen, wo wir rückblickend in aller Ruhe die Art und Weise, wie er und seine Mitgefangenen die Besuche des IKRK erlebten, und die Lheren prüften, die sie daraus gezogen hatten.. In Olso erklärte mir Mandela, was das IKRK in Bezug auf die langristigen Folgen getan habe, sei die Erwirkung des Rechts für die Gefangenen gewesen, Zugang zu Nachrichten zu erhalten. Da sie in vollständiger Isolation gehalten wurde und nichts über die Ereignisse der Welt wussten, liefen sie tatsächlich Gefahr, im Geiste des Prozesses von 1964 zu erstarren, als sie zu lebenslangen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Hätte diese geistige Blockade angehalten, wären sie nach ihrer Freilassung unfähig gewesen, die Verhandlungen zu führen, wie sie es taten, denn ihre Denkweise wäre zu stark von der Vergangeneheit geprägt gewesen. Die Tatsache, dass das IKRK darauf bestand, für die politischen Gefangenen Zugang zu Nachrichten zu fordern, und dies schliesslich auch erwirkte, spielte somit eine wesentliche Rolle bei der Rückkehr zum bürgerlichen Frieden in Südafrika" (Moreillon, S.256).

Wo spielt das Humanitäre Völkerrecht heute eine Rolle

Noch vor l0 Jahren spielte sich ein Grossteil der Konflikte in der 3.Welt. Als ich 1987 den Einführungskurs zur IKRK Arbeit beendete hatte, ging es nach Pakistan, an die afghanische Grenze. Für meine Kurskollegen hiess das Ziel Angola, Südafrika, Philippinen, Israel und der Libanon. Meine zweite Mission führte mich wieder in ein Land der dritten Welt - nach Thailand, an die Grenze Kambodschas, wo seit 1979 rund eine halbe Million Flüchtlinge waren.

Die Länder Osteuropas und der Sowjetunion waren ein weisser Fleck auf der Landkarte. 1987 unterhielt das IKRK zwar diplomatische, aber wenig fruchbare Beziehungen mit der Sowjetunion. Trotz Glasnost und Perestroika schien das Machtgefüge hermetisch, eine Aenderung auf absehbare Zeit undenkbar. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich vier Jahre später auf Einladung des rumänischen Verteidigungsministers den Offizieren einer Armee, die einst zum Warschauer Pakt gehört, Kurse geben würde - ich hätte den Kopf geschüttelt.

1989 wurde die Berliner Mauer eingerissen. In Rumänien fand in der Weihnachtszeit ein blutiger Umsturz statt. Panzer fuhren auf. Die IKRK-Maschine war das letzte Flugzeug, das auf dem Bukarester Flughafen Ottopeni landen konnte. Der Umsturz war nicht der Beginn eines Bürgerkrieges - er öffnete einfach ein Land, das in den Jahren des Kommunismus mehr als andere Ostblock-Länder gelitten hatte, weil der Diktator Ceausescu eine besonders grausame Art des Kommunismus praktizierte. Kein Krieg, dafür Misstände und Elend in unbekannten Grössenordnungen tauchten in Rumänien auf, wir alle haben die schrecklichen Bilder aus Rumäniens Kinderheimen noch in Erinnerung. Und dann geschah in Rumänien noch etwas, das viele überraschte: In Tirgu Mures fanden im April 1990 blutige Zusammenstösse zwischen Ungaren, die in in Siebenbürgen eine grosse ethnische Minderheiten bilden, und Rumänen statt. Meine dritte Mission führte mich nach Siebenbürgen, wo ich ein halbes Jahr lang die Möglichkeit hatte, diese Spannungen zu verfolgen. Die Situation, die ich in Rumänien antraf ist in einem gewissen Sinn typisch und half mir mit, andere Konflikte in Osteuropa und in der ehemaligen Sowjetunion zu verstehen: Rumänen und Ungaren streiten in Siebenbürgen um das Erstgeburtsrecht an diesem Landesteil. Die Rumänen fürchten - zu Recht oder Unrecht - um ihre nationale Identität und blocken alle Versuche um Autonomie seitens der Ungaren ab. Die Spannungen existieren auch heute noch - immerhin führten sie nicht zu einem offenen Konflikt. Dass es andere Spannungsherde dieser Art gab, das wusste man 1990 - dass wir in den Jahren darauf eine Eskalation erleben würde, wie sie stattgefunden hat, das wussten wir damals nicht.

Warum diese ausführliche Schilderung? - Als wir im November 1990 aus Rumänien abreisten, stand der Golfkrieg vor der Tür. 1991 begann der Konflikt in Jugoslawien, erste Auseinandersetzungen im Kaukasus begannen.

Das hatte auch für das IKRK Konsequenzen: es erlebte in den letzten 5 Jahren eine explosionsartige Steigerung seiner Einsätze und gleichzeitig eine Verschiebung seines Schwergewichtes: Das IKRK war im vergangenen Jahr in rund 60 Ländern präsent. Gegen 7000 Mitarbeiter waren in den verschiedenen Missionen beschäft - dafür wendete das IKRK rund l Milliarde Franken auf. Etwa ein Drittel der rund 800 - 1000 Felddelegierten sind heute im ehemaligen Jugoslawien, im Kaukasus und in anderen Regionen der ehemaligen Sowjetunion.

Fassen wir zusammen: das Humanitäre Völkerrecht spielt heute in allen Konfliktgebieten der Welt eine Rolle.

Praktisch alle dieser Konflikte - mit Ausnahme des Golfkrieges - sind keine internationalen Konflikte. Bestes Beispiel der Konflikt um Tschetschenien. Russen und Tschetschenen gehören beide zur russischen Föderation. Komplexer liegen die Dinge im ehemaligen Jugoslawien. Auch dieser Konflikt begann als interner Konflikt. Um interne Konflikte handelt es sich auch in Ruanda und Somalia.

Und hier zeigen sich die Grenzen des HVR, auf die wir schon im vorigen Kapitel gestossen sind.

Ein Wort zu den Vereinten Nationen, der UN: Die Oeffentlichkeit stellt ein Versagen der UN im ehemaligen Jugoslawien fest. Peter Fuchs, IKRK Generaldirektor wiederholt immer wieder eine zentrale Feststellung: Das IKRK arbeitet komplementär zur UNO. Neutralität und Unabhängigkeit des IKRK sind keine Schlagworte. Das zeigt sich gerade im ehemaligen Jugoslawien: Die UNO vermischt mit ihrem sogenannten integrierten Approach Politik und Humanitäre Anliegen. Sie wird von den Konfliktparteien als Partei wahrgenommen. Das gilt für die Blauhelme, es gilt aber auch für das UNO Hochkommissariat, das UNHCR. Das IKRK kann heute im Dienste der Opfer auf allen Seiten arbeiten, bei den Bosniern, den Serben und den Kroaten.

Schluss

Ich komme nun zum Schluss. Zu Beginn meines Referates habe ich die Frage aufgeworfen, ob das humanitäre Völkerrecht ein Beitrag zum Friede ist.

Ich glaube, Sie werden mir nun beipflichten, wenn ich zum Schluss komme: Ja, es ist ein Beitrag. Ein Beitrag in einem sehr speziellen Sinn. Das Humanitäre Völkerrecht kann keine Kriege verhindern. Aber es kann vielleicht mithelfen, Kriege beizulegen, wenn sie einmal ausgebrochen sind, indem es gewisse Regeln für diese Kriege fordert und durchzusetzen versucht.

Trotzdem, ein gewisses Paradoxon bleibt: Wenn im Krieg schon Regeln eingeführt werden, könnte man dann nicht ein für allemal die Grundregel einführen: Der Krieg muss aufhören.

Das ist ein rhetorische Frage, wir wissen, dass es nicht geht. Und auch Henry Dunant wusste dies schon - er leitet seine Vorschläge am Ende des Buches "Eine Erinnerung an Solferino" mit folgenden Ueberlegungen ein:

"Da man nun einmal darauf verzichten muss, dass sich Wünsche und Hoffnungen der Gesellschaft der Friedensfreunde, die Träume des Abbé de St.Pierre und die begeisterten Phantasien des Grafen de Sellon jemals erfüllen werden; Da man immer wieder den Ausspruch eines grossen Denkers wiederholen könnte: Die Mensschen sind so weit gekommen, dass sie sich töten, ohne sich zu hassen; das einer den anderen ausrottet, ist der höchste Ruhm von allen Künsten; Da man es soweit gebracht hat zu erkären, dass wie Graf Joseph de Maistre versichert 'Der Krieg göttlich sei'. a man jeden Tag neue und schreckliche Vernichtungsmittel erfindet, und zwar mit einer Ausdauer, die eines besseren Zweckes wert wäre, und da die Erfinder solcher mörderischen Maschien in fast allen grossen europäischen Staaten, die alle immer stärker aufrüsten, mit Beifall überschüttet und ermutigt werden;D a man endlich - ohne andere Anzeichen zu erwähnen - gemäss der geistigen Lage in Europa Kriege voraussehen kann, die wie es scehint, in näherer oder fernerer Zukunft unvermeidlich sein werden.

Warum sollte man nicht eine Zeit verhältnismässiger Ruhe und Stille benutzen, um eine Frage von so grosser und umfassender Wichtigkeit von dem doppelten Standpunkt der Menschlichkeit und des Christentums aus zu studieren, warum sollte man nicht versuchen, hierüber zu einem Entschluss zu kommen? (Dunant S.143/144)

Wohl verstanden, diese Zeilen wurden nicht heute, sondern vor mehr als l00 Jahren geschrieben.

Ein weiterer Puzzlestein ist der Gedanke der Neutralität

Friede ist mehr als nur das Wegbleiben von Krieg - er hat etwas mit Ausgeglichenheit zu tun. Staaten oder Bevölkerungsgruppen respektieren sich gegenseitig als gleichwertige, selbständige Partner. Sind sie im Krieg, so machen sie das nicht mehr. Das IKRK, als aussenstehende und trotzdem involvierte Institution nimmt aber beide Parteien in einem gewissen Sinn als gleichwertige Partner wahr. Kriegsopfer gibt es immer - das hat schon Dunant erkannt - hüben und drüben. Das IKRK ist bestrebt mit beiden Seiten eines Konfliktes zu arbeiten. Soweit der Grundgedanke.

In der Praxis muss diese Neutralität immer wieder erarbeitet und argumentativ verteidigt werden. Das ist oft schwierig, manchmal in der Praxis fast unerträglich. Einige subjektive Beispiele aus meinen Erfahrungen: Im Afghanistankrieg war das IKRK zwar sowohl auf der Seite der Mujaheddin, die ihre Basis in Pakistan hatten, als auch auf der Regierungsseite in Kabul vertreten. Was die Aktivitäten anging, so gab es aber ein Missverhältnis: auf pakistanischer Seite konnte das IKRK weitgehend ungehindert operieren, währenddem es auf der Regierungsseite oft schwierig, manchmal unmöglich war, etwas zu tun - sei das nun im medizinischen Bereich oder im Bereich der Besuche bei Gefangenen. Die pakistanische Grenzstadt Peshawar am Fuss des Khyber Passes, der über Djalalabad nach Kabul führt, war ein wichtiges logistisches Zentrum des afghanischen Widerstandes. In Peshawar lebten und arbeiteten zahlreiche Ausländer - zeitenweise waren über 100 Organisationen bekannt. Wer dort arbeitete, tat dies in der Regel um die Sache des afghanischen Widerstandes zu unterstützen. Das galt nun gewiss nicht vom IKRK obwohl es in vielen Bereichen professioneller und besser arbeitete als manche andere Organisation. Das IKRK Spital beispielsweise war kein Spital für den afghanischen Widerstand sondern eins für Kriegsopfer. Solange der Unterschied nicht sichbar wird, ist dies Rhetorik. Sichbar wurde der Unterschied etwa, wenn das IKRK begann den afghanischen Widerstand zu kritisieren. Denn in Bezug auf die Achtung des humanitären Völkerrechtes waren auch die Afghanischen Widerstandskämpfer keine Engel.

Aehnlich ist die Situation im ehemaligen Jugoslawien: das IKRK arbeitet nicht ausschliesslich - wie zahlreiche andere Organisationen - auf der Seite der bosnischen Muslime. Es arbeitet auch auf der Seite der Serben, denn auch dort leiden Menschen unter den Folgen dieses Krieges. Nur dieser Tatsache ist es zu verdanken, dass das IKRK in einem weit geringeren Masse als andere Organisationen von Uebergriffen der Kämpfenden sicher ist und nicht einen Drittel oder gar die Hälfte der Hilfsgüter als Weggeld abliefern muss.

Ich habe gesagt, das sei manchmal unerträglich: IKRK Delegierte, die in Ruanda arbeiteten und dort die Massaker der Tutsi unter der Hutu-Bevölkerung mitansehen mussten, hatten später Mühe, in burundischen Flüchtlingslagern zu arbeiten. Dorthin hatten sich die Tutsi geflüchtet, weil sie sich vor Vergeltunsakten in Sicherheit bringen mussten. Trotzdem sind auch dort IKRK Delegierte tätig.

Dank dieser Arbeitsweise kann das IKRK auch immer wieder als neutraler Mittler zwischen den Kriegsparteien agieren und hat auch die Möglichkeit, die Parteien an einen Tisch zu bringen.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch einen Gedanken: Das IKRK übt eine grosse Anziehungskrauft aus und vermag viele gerade jüngere Leute, Leute in meinem Alter in seinen Bann zu ziehen. Sie arbeiten in 60 Ländern dieser Welt. Man geht auf eine Mission, man erfüllt eine Mission. Vielleicht sind diese jungen Leute Missionare im einem übertragenen Sinn: Sie bringen eine säkularisierte Friedensbotschaft mit sich - die Friedensbotschaft des aufgeklärten Menschen, der weiss, dass Frieden eine Utopie ist.

Ich will den Gedanken nicht weiterspinnen, sondern ein persönliche Frage zu beantworten suchen, die ich am Anfang meiner Aufführungen aufgeworfen hatte. Es ging dort um die Frage, wie nützlich letztlich unsere Kurse an der afghanischen Grenze waren.

Am 12.November des vergangenen Jahres hatte ich die Gelegenheit, anlässlich einer Veranstaltung der Stiftung Bibliotheca Afghanica den Ausführungen des stv.Delegationschefes von Kabul, Pierre Krähenbühl zu folgen. Das IKRK war und ist die einzige Organisation, die in all den Jahren in Kabul ausgeharrt hat. Ausländische Botschaften, Hilfswerke und auch die UN hatten ihre Niederlassungen auf dem Höhepunkt der Kämpfe in Kabul immer wieder schliessen, das Personal abziehen müssen. Nicht so das IKRK. Zwar war es für die Organisation enorm schwierig, in Kabul auszuharren. Aber, so der stv.Delegationschef: Es gab keine gezielten Angriffe auf Personen und Einrichtungen der Organisation. Die Afghanen - welcher Seite im Kampf sie auch immer gerade angehören mögen - die Afghanen kennen das IKRK. Viele haben Angehörigen, die in einem der IKRK Spitäler behandelt wurden, noch mehr kennen das IKRK; weil sie irgend einmal zwischen 1979 und heute einen Ersthilfe-Kurs absolvierten und dort auch mit den Grundregeln für Kombattante, mit den Regeln des Humanitäre Völkerrechtes bekannt gemacht wurden.

Kollbrunn, 24. Januar 1995

Dominik Landwehr