Die letzten 100 Meter
Das Joint Distribution Committee hilft seit 1918
Drei grosse Namen: Elie Wiesel, Paul Celan, Joseph Schmidt -
Roma werden heute noch verfolgt.
Holocaust-Opfer aus Rumänien im Gespräch mit Schweizer Schülern

Buchtips zum Holocaust in Rumänien
Rumänien-Links -
Links zum Thema Schweiz + Holocaust

Holocaust-Überlebende in Rumänien

Roma werden noch heute verfolgt

 

Hunderttausende Roma - oft abschätzig Zigeuner genannt - fanden im Holocaust den Tod. Vielerorts sind sie heute noch verhasst.

Von Dominik Landwehr

Dieser Artikel erschien am 12.Juli 1997 in der Schweizer Zeitung "Brückenbauer"

Der Roma Istban Puci mit seiner Frau: Seine Eltern sind im Krieg verschwunden. Er weiss heute noch nichts Näheres.

Bild Dominik Landwehr

Band ist eine kleine Ortschaft im Herzen von Rumänien, etwa 20 Kilometer von der nächsten Stadt, Tirgu Mures, entfernt. Am Dorfrand von Band lebt der 92jährige Istvan Puci mit seiner Frau Anna in einer ärmlichen Hütte. Das Bauernpaar gehört zur Minderheit der Roma.

Der alte Mann erzählt uns, wie er im Zweiten Weltkrieg in die ungarische Armee eingezogen wurde und danach in russische Gefangenschaft geriet. Als er nach Jahren zurückkam fand er kein einziges Mitglied seiner Familie am Leben, ihm blieben nur Bilder. Wo waren seine Angehörigen geblieben? Unter welchen Umständen waren sie gestorben? - Istvan Puci weiss es nicht.

 

Im Heimatdorf hingerichtet

Im gleichen Dorf lebt die 75jährige Carolina Gritto: Sie erinnert sich, wie 1944 alle Juden aus ihrem Dorf abgeholt wurden. Vereinzelt wurden auch einige Roma mitgenommen, andere wurden an Ort und Stelle hingerichtet. «Ich erinnere mich an eine Brücke bei der Stadt Mediasch, dort lag eine ganze Zigeunerfamilie mit Kindern tot, erschossen.»

Im Nordosten von Rumänien, in der Bukovina und in Bessarabien, wurden die Roma zusammen mit den Juden deportiert und mussten während zweier Jahre in Transnistrien Zwangsarbeit verrichten.

In der Ortschaft Bolintin Vale bei Bukarest treffen wir die 70jährige Ghita Tudora, die als Mädchen dorthin deportiert wurde: «20 Familien mussten je zusammen in einem Stall leben. Viele starben an Hunger, an Entkräftung und an Krankheiten wie Typhus. Ich möchte lieber sterben, als noch einmal dorthin zu gehen.»

Die Nationalsozialisten und ihre Verbündeten töteten im Zweiten Weltkrieg Hunderttausende Roma (siehe Kasten). Aber die Verfolgung ging auch später weiter: Die Roma sind und waren im Grunde immer verhasst bei der Bevölkerung. Daran hat auch der Umsturz von 1989/90 nichts geändert. Im Gegenteil: In den letzten Jahren kam es in Rumänien sogar zu eigentlichen Pogromen gegen Roma.

Die britische Menschenrechtsorganisation «Minority Rights Group» beschreibt einen solchen Zwischenfall, der sich im Januar 1995 in der Ortschaft Bacu bei Bukarest zugetragen hat: «Als Folge eines Streits zwischen Rumänen und Roma schossen Rumänen zuerst auf eine Gruppe von Roma. Dabei wurden zwei Menschen schwer verletzt. Aus Angst vor weiteren Gewaltakten flüchteten die Roma darauf aus dem Dorf. Am nächsten Tag steckte die rumänische Dorfbevölkerung deren Häuser in Brand.»

Neue Form von Gewalt

Nach diesem Modell ereigneten sich auch andere, ähnliche Zwischenfälle. Immerhin ist es seit 1995 zu keinen derartigen Hassausbrüchen mehr gekommen, erklärt uns Istvan Haller von der Menschenrechtsorganisation «Liga Pro Europa» in Tirgu Mures. Probleme macht den Roma

in dieser Gegend neuerdings eine andere Form von Gewalt: Dabei dringen grosse Polizeiverbände nachts oder frühmorgens in die Häuser und Wohnungen von Roma ein und nehmen Verhaftungen vor. Die Polizei begründet dies jeweils damit, dass man so kriminelle Handlungen verhindern wolle.

Die Roma sind in der rumänischen Öffentlichkeit unübersehbar: sie dominieren gewisse Bereiche der ländlichen Märkte. Der Pferdehandel befindet sich gar ganz in den Händen der Roma und stellt einen ihrer traditionellen Erwerbszweige dar. Als Fremder wird man immer wieder von Roma-Strassenkindern angebettelt.

Auch wenn nur noch eine Minderheit der Roma als eigentliche Nomaden lebt, so unterscheiden sich doch Kultur und Tradition dieses Volkes enorm von den Sitten und Gebräuchen ihrer Umgebung.

Es braucht Projekte zur Verbesserung der materiellen Lage der Roma, sagt man bei der Liga Pro Europa, die sich stark für die Roma von Siebenbürgen engagiert. Dann muss aber auch auf dem Gebiet der Bildung etwas getan werden. Die Liga Pro Europa teilt aber die Erfahrung anderer Gruppen, die mit Roma zusammenarbeiten: Es gibt unter den Roma wenig Leute, die eigentlich in der Lage sind, Projekte zu leiten und zu verwalten. Liga-Präsidentin Smeranda Enache: «Wir setzen auf kleine Projekte. Zum

Beispiel bezahlen wir die Unterbringungs- und Transportkosten für Jugendliche, die das Gymnasium besuchen.»

Dominik Landwehr


Roma als Opfer

Nach Angaben der «Enzyklopädie des Holocaust» wurden im Zweiten Weltkrieg zwischen 220000 und 500000 Roma ermordet. Heute gibt es nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen zwischen 7 und 8,5 Millionen Roma in

Europa, der grösste Teil davon lebt in Mittel- und Osteuropa. Rumänien hat mit rund 2,5 Millionen Roma den grössten Anteil von Angehörigen dieser Minderheit unter den osteuropäischen Staaten. D.L.


Artikel zu verwandten Themen



Briefe - Links
Frontpage - English Page - Minderheiten - IKRK- Rumänien - , USA, Vietnam, - Eritrea - Böhmen - Multimedia & Co.- Postkarten - Quotes - Books - Personal

updated last on July 25, 1997